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Das Porträt: Hans Peter Stihl

Die Motorsäge fasziniert ihn immer noch

Hans Peter Stihl hat aus dem schwäbischen Familienunternehmen STIHL einen Global Player gemacht. Für seine unternehmerische Lebensleistung, seine Innovationskraft und sein soziales Engagement erhält er den Aachener Ingenieurpreis.

Wenn Hans Peter Stihl auf dem Grundstück der Familie nahe der Schweizer Grenze einen Baum fällen muss, dann macht er das immer noch selbst. Der mittlerweile 87-Jährige zieht seine Schutzausrüstung an, greift zu einer Motorsäge mit Akkuantrieb und erledigt die Aufgabe mit der Routine eines Mannes, der mit einer solchen Motorsäge auch im übertragenen Sinne groß wurde. Sein Vater Andreas Stihl gründete 1926 ein Ingenieurbüro und entwickelte Motorsägen, die Waldarbeiten revolutionieren sollten. Aus dem Büro wurde eine stattliche Maschinenfabrik. Hans Peter Stihl entwickelte gemeinsam mit seiner Schwester Eva Mayr-Stihl und seinem Bruder Dr. Rüdiger Stihl aus der Maschinenfabrik die global erfolgreiche Unternehmensgruppe STIHL. Seit 1971 ist STIHL die meistverkaufte Motorsägen-Marke der Welt. Hans Peter Stihl, geboren am 18. April 1932 in Stuttgart, trat 1960 in das Familienunternehmen ein. 1973 wurde er Vorsitzender der Geschäftsführung. „Der Herr der Motorsäge“, wie ihn das Handelsblatt zu seinem 85. Geburtstag betitelte, wird nun mit dem Aachener Ingenieurpreis geehrt.

Sie bleibt sein Lieblingsprodukt

1957 schloss er seinen Diplomingenieur in Maschinenbau an der Technischen Hochschule Stuttgart ab und arbeitete zunächst als Konstrukteur bei der Robert Bosch GmbH. Kurz nach dem Eintritt ins Familienunternehmen übernahm er die Leitung der Abteilung „Fertigung und Konstruktion“. Es war ein konsequenter Schritt, Hans Peter Stihl hatte bereits als Kind dort viel Zeit verbracht. „Ich habe die Leute manches Mal von der Arbeit abgehalten“, erzählt er lächelnd. Früh entwickelte er eine Begeisterung für Motorsägen, die ihn bis heute nicht losgelassen hat. „Die Tatsache, dass mit einem kleinen Benzinmotor, Schiene und Kette große Stämme in wenigen Sekunden zerlegt werden können, hat mich immer schon fasziniert“, sagt er. Auch wenn STIHL für weit mehr als Kettensägen steht: „Es ist weiterhin mein Lieblingsprodukt und hat eine zentrale Bedeutung für unser Unternehmen“, betont er.

Als Stihl nach dem Tod seines Vaters 1973 den väterlichen Betrieb übernahm, zählte das Unternehmen 2.500 Mitarbeiter und erzielte mit vier inländischen Produktionsbetrieben einen Jahresumsatz von 220 Millionen DM. Heute produziert die STIHL Gruppe in sieben Ländern und hat weltweit mehr als 17.000 Beschäftigte. Die Produkte vertreibt das Unternehmen in über 160 Ländern – mit 38 eigenen Vertriebs- und Marketinggesellschaften, rund 120 Importeuren und mehr als 50.000 Fachhändlern. Der Umsatz lag 2018 bei 3,78 Milliarden Euro – insgesamt eben ein Global Player.

Am Freitag, 13. September 2019, wurde Stihl mit einem festlichen Akt von RWTH und Stadt Aachen im dortigen Rathaus für sein Lebenswerk mit dem Aachener Ingenieurpreis ausgezeichnet. Am Samstag, 14. September 2019, hielt er die Keynote Speech beim Graduiertenfest der Hochschule – vor rund 5.000 Teilnehmenden im Dressurstadion des Aachen-Laurensberger Rennvereins in der Soers.

Die gemeinschaftliche Auszeichnung wurd unterstützt vom Verein Deutscher Ingenieure VDI. Er stiftete die Skulptur „Kreuzende Ellipsen“ der Künstlerin Mariana Castillo Deball, die jedem Preisträger verliehen wird. Gemäß Satzung werden Menschen gewürdigt, die mit ihrem Schaffen einen maßgeblichen Beitrag zur positiven Wahrnehmung oder Weiterentwicklung des Ingenieurwesens geleistet haben.

Intention zur Schaffung des Aachener Ingenieurpreises war nicht nur, das Ansehen ingenieurwissenschaftlicher Leistungen zu fördern. Den Geehrten gelang ebenso, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Impulse zu setzen und jüngere Generationen zu inspirieren. Bisherige Preisträger waren Berthold Leibinger (gestorben 2018), der aus der kleinen schwäbischen Maschinenfabrik Trumpf einen High-Tech-Konzern der Lasertechnologie machte, Franz F. Pischinger, der als RWTH-Professor die FEV Motorentechnik GmbH als Spin-off in Aachen gründete, der Astronaut Thomas Reiter, als langjähriger Direktor am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH, Professor Manfred Weck, sowie im vergangenen Jahr die Mikrobiologin Professorin Emmanuelle Charpentier, deren Arbeit maßgebliche Auswirkungen auf das Ingenieurwesen in der Biotechnologie hat. Ihre Entdeckung CRISPR-Cas9 hat die Welt der Biotechnologie grundlegend verändert.

„Hans Peter Stihl erhält den Aachener Ingenieurpreis 2019 für seine unternehmerische Lebensleistung, die ingenieurwissenschaftliche Innovationskraft mit wirtschaftlichem Erfolg und langfristigem sozialen Engagement verbindet. Er hat damit außerordentliche Impulse in Technik, Wirtschaft und Gesellschaft gesetzt“, erklärt der Rektor der RWTH Aachen, Professor Ulrich Rüdiger. „Hans Peter Stihl zeichnet sich insbesondere durch seine große soziale und ökologische Verantwortung aus. Er steht für ein faires, partnerschaftliches Miteinander und nachhaltiges Wirtschaften in vielen Bereichen.“

Er hat das Unternehmen international aufgestellt

Hans Peter Stihl hatte, als er im Familienunternehmen Verantwortung übernahm, das klare Ziel, das die Zukunft international gestaltet werden müsste. „Mit einer alleinigen Fertigung in Deutschland wären wir auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig gewesen“, erklärt er. Als in den 1960er Jahren in Brasilien Importverbote ausgesprochen wurden, suchte er vor Ort nach einem Platz für eine eigene Produktionsstätte. 1973 wurde nahe Porto Alegre eine Firma eröffnet, die sich zu einem wichtigen Bestandteil der STIHL Gruppe entwickelte und heutzutage Zylinder für STIHL-Motoren herstellt.

Die Sägeketten-Produktion wurde 1974 in die Schweiz verlagert, im selben Jahr folgte der wichtige Schritt in die USA, nach wie vor der größte Markt für den Konzern. Dort steht das größte Werk der Gruppe, die noch acht Werke mit dem Stammsitz Waiblingen in Deutschland hat. „Als Unternehmer muss man sich mit weltweiten Absatzmärkten beschäftigen. Wir sind ausgesprochen stolz darauf, dass uns dies frühzeitig gelungen ist, und wir auch auf dem schwierigen asiatischen Markt Fuß fassen konnten“, sagt Stihl.

2002 zog er sich aus der Geschäftsführung zurück und wechselte in den Beirat und den Aufsichtsrat, zehn Jahre später übernahm deren Vorsitz Sohn, Dr. Nikolas Stihl. Der Vater ist heute Ehrenvorsitzender beider Gremien und weiterhin persönlich haftender Gesellschafter der STIHL Holding AG & Co. KG.

Mehr als 40 Jahre war er operativ bei STIHL tätig, seit mehr als 50 Jahren teilt er sich ein Büro mit seiner Schwester Eva Mayr-Stihl. Dort ist der leidenschaftliche Motorradfahrer immer noch regelmäßig und isst dann mit seinen Geschwistern und anderen Familienmitgliedern in der Kantine – besonders gern, wenn es ganz schwäbisch sein Lieblingsessen Spätzle mit Linsen und Saitenwürstle gibt. Werden neue Produkte getestet, macht das Hans Peter Stihl oft noch selbst. Etwa bei der MS500i mit Injection-Technologie, der weltweit ersten in Serie gebauten Motorsäge mit elektronisch gesteuerter Kraftstoffeinspritzung. „Ich bin heute noch bei wichtigen technischen Besprechungen dabei. Ich habe immer noch den Blick des Ingenieurs, und der ist für die Innovation entscheidend“, sagt er.

Stringente Terminplanung macht Engagement möglich

Trotz seines Einsatzes für die Firma und ihre Entwicklungen findet Stihl auch noch Zeit, sich abseits der Produktionsstätten zu engagieren. Von März 1988 bis Februar 2001 war er Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), von 1990 bis 2001 auch der Industrie- und Handelskammer der Region Stuttgart, einer der stärksten Wirtschaftsregionen in Deutschland. Von Dezember 1989 bis Ende Juni 2000 amtierte er als Präsident des Industrie- und Handelskammertages Baden-Württemberg. Er war von September 2002 bis Juni 2019 Honorargeneralkonsul der Republik Singapur, war dies von August 2004 bis Juli 2019 sogar für gesamt Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland.

Während seiner DIHT-Präsidentschaft baute Stihl das Auslandskammernetz beträchtlich aus und engagierte sich nach der Wiedervereinigung beim Aufbau der ostdeutschen Industrie- und Handelskammern. Beim DIHK gehört er weiterhin dem Ältestenrat an, bis 2009 war er dessen Vorsitzender. Bei der Fraunhofer-Gesellschaft gehört Stihl von 1992 bis 1997 dem Senat an. Hinzu kamen zahlreiche Engagements in Aufsichts- und Beiräten. Er ist Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft, des Kuratoriums Stuttgarter Kammerorchester sowie der Freundeskreise des Goethe-Instituts, des Schiller-Nationalmuseums und des Deutschen Literaturarchivs. 1960 wurde Stihl Mitglied und im März 2013 Ehrenmitglied des Albert-Schweitzer-Kinderdorf e. V. in Waldenburg, das er regelmäßig mit Spenden unterstützt. Und dies sind nur einige Beispiele für sein Engagement. „Ich hatte immer schon eine sehr stringente Terminplanung, was mir dies möglich machte“, sagt er.

Hans Peter Stihl, seit 2015 aufgenommen in die Hall of Fame der deutschen Familienunternehmen, versteht sich als strikter Verfechter der sozialen Marktwirtschaft Erhard’scher Prägung. Er hat sich frühzeitig in der Tarifpolitik engagiert, von 1980 bis 1988 war Stihl Vorsitzender des Verbandes der Metallindustrie in Baden-Württemberg. Als 1984 im Arbeitskampf sieben Wochen die Belegschaft ausgesperrt wurde, stand er in der Verantwortung. Am Ende wurde ein Kompromiss ausgehandelt, der es erlaubte, flexiblere Arbeitszeiten anzubieten. Bandarbeiter arbeiteten bei STIHL daraufhin 37 Stunden, Ingenieure 40 Stunden.

Apropos Belegschaft: Hans Peter Stihl hat in seiner Firma eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung eingeführt, an der sich 80 Prozent der Beschäftigten des Stammhauses beteiligen. Er findet es wichtig, darüber auch zu sprechen. „Ich bin der Meinung, dass ein Unternehmer nicht nur seinem Eigentum verpflichtet ist, sondern für eine höhere Erkenntnis in der Gesellschaft sorgen muss und deswegen öffentlich agieren sollte“, erklärt er.

Hans Peter Stihl wurde bereits unter anderem mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland mit Stern ausgezeichnet. Er ist Träger des Großen Goldenen Ehrenzeichens mit dem Stern der Republik Österreich und des Orden Marienland zweiter Klasse der Republik Estland. 1995 erhielt er die Wirtschaftsmedaille und 2001 die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg, 2007 die Große Staufermedaille in Gold, schon 1987 den Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz. 2001 wurde er vom Zentralverband des deutschen Handwerks mit dem Handwerkszeichen in Gold und von der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer mit dem deutsch-brasilianischen Persönlichkeitspreis geehrt.

Text: Thorsten Karbach