Das Porträt: „Chemie ist nicht das Problem, Chemie ist die Lösung“
Als Schülerin war Melanie Maas-Brunner Feuer und Flamme für die Chemie. Als Chemikerin hat sie sich dann die Finger verbrannt. Buchstäblich hat sie dies an diesem Tag im Labor, als der Tiegel noch so heiß war, dass es ihrem Daumen noch wochenlang anzusehen war.
Es ist eine kleine Episode aus dem Chemiestudium an der RWTH Aachen, aufgehalten hat es die junge Frau aus Korschenbroich am Niederrhein nicht. Im Gegenteil: Etwa 30 Jahre, nachdem sie sich bei einem Versuch im Labor der Universität den Daumen verletzt hat, hat sie tiefe Spuren in der chemischen Industrie hinterlassen. Aus Sicht des Manager Magazins ist sie heute „die Superministerin“ eines der weltweit größten Chemieunternehmen, der BASF SE mit Sitz und Werk in Ludwigshafen am Rhein, dessen Standortleiterin sie ebenso ist wie Arbeitsdirektorin und Chief Technology Officer und damit Vorstandsmitglied des Traditionsunternehmens mit weltweit mehr als 111.000 Beschäftigten.
Als Anerkennung für ihr konsequentes Streben, mittels Innovation und intensiven Einsatz Industrie nachhaltiger zu gestalten, wird Dr. Melanie Maas-Brunner am Samstag, 2. September 2023, in einem festlichen Akt von RWTH und Stadt Aachen im Krönungssaal des Aachener Rathauses mit dem Aachener Ingenieurpreis ausgezeichnet. Zum neunten Mal wird diese Auszeichnung mit freundlicher Unterstützung des Vereins Deutscher Ingenieure (vdi) verliehen. „Dr. Melanie Maas-Brunner ist eine anerkannte Chemikerin mit hervorragender Managementkompetenz. Sie strebt immerzu nach Innovationen, die ihren Weg in den realen Betrieb finden. In ihrem Denken und Handeln gleicht sie dabei einer Ingenieurin mit dem Blick für technisches Potenzial. Für die Beschleunigung und Umsetzung von Forschungsergebnissen in gleichermaßen neue wie nachhaltige Produktionsprozesse, Produkte und Ge-schäftsmodelle erhält sie den Aachener Ingenieurpreis 2023“, begründet Professor Ulrich Rüdiger, Rektor der RWTH Aachen, die Entscheidung.
Gekachelte Räume, engagierte Studierende
Melanie Maas-Brunners Begeisterung für die Chemie begann früh. Gerne erinnert sie sich an ihren kleinen Chemie-Leistungskurs am Gymnasium und einen sehr guten Chemielehrer. Die Experimente im Schullabor haben dann die Begeisterung für ein Chemiestudium geweckt. Sie hat sich in Aachen mit Blick auf ein solches Studium umge-schaut. Dort traf sie auf gekachelte Räume und engagierte Studierende und Lehrende, deren Leidenschaft sie direkt spürte. „Ich habe eine extrem positive Stimmung wahrgenommen“, erinnert sie sich. Die Einschreibung war die logische Konsequenz. Das Studium begann mit anorganischer Chemie, der Weg führte Melanie Maas-Brunner dann weiter in die technische Chemie. Sie wollte Lösungen in größeren Dimensionen denken, das Reagenzglas war ein guter Anfang, aber aus dem kleinen Labor wollte die junge Wissenschaftlerin ihre Forschung in größere Anwendungen überführen, in Lösungen, die am Ende auch in der Industrie ankommen. Der Schritt aus der Forschung in eben diese Industrie war dann vor allem: konsequent und logisch.
Nach der Promotion 1995 und einer Zeit als Forscherin in Aachen und an der University of Ottawa in Kanada be-gann sie 1997 als Research Scientist im Bereich Chemical Research and Engineering bei der BASF Aktiengesell-schaft in Ludwigshafen. 2001 wurde sie dort Plant Manager Business Unit Plasticizers and Solvents und wurde Teil des Stabs eines Vorstandsmitglieds, zwei Jahre später Vice President, Global Strategy, Product and New Busi-ness Development for Dispersions and Paper Chemicals. Es folgte von 2008 bis 2012 eine Zeit im BASF East Asia Regional Headquarters Ltd., Hongkong, bevor Maas-Brunner als Senior Vice President (erst für Engineering Plastics Europe, dann für Performance Materials Europe) nach Deutschland zurückkehrte und 2017 am Standort Lampert-heim President Nutrition & Health wurde. Nun sucht sie als Vorstandsmitglied des Unternehmens, Lösungen, die den Labormaßstab längst verlassen haben.
Die Welt hat sich in den 26 Jahren, die Maas-Brunner nun bei BASF ist, verändert. Zuletzt mit einer Rasanz, die atemberaubend erscheint. Für ein Chemieunternehmen wie BASF hat das Konsequenzen. Wie in vielen anderen Branchen wird digitalisiert, wo immer es sinnvoll erscheint. Künstliche Intelligenz (KI) gilt es, sorgsam in die eigenen Prozesse einfließen zu lassen. Innovationen werden heutzutage auf Kundenbedürfnisse maßgeschneidert. Weiße Biotechnologie, also die Verwendung von Organismen oder deren Bestandteile als Grundlagen für die industrielle Produktion, etablierte sich zur unverzichtbaren Technologie.
Lösungen für die großen Herausforderungen
Für Melanie Maas-Brunner geht es um die Zukunft eines riesigen Unternehmens, eines „Kolosses“, wie das Mana-ger Magazin schreibt, und wenn man genau hinschaut und ihr zuhört, dann geht es um noch mehr: um die ganz großen Herausforderungen der Gesellschaft. „Chemie ist nicht das Problem, Chemie ist die Lösung“, sagt sie.
Ihr Problem: Die Chemieindustrie wird nicht ausreichend als Lösung erkannt. Vor allem dort, wo die Spielregeln mittels Gesetzen und Regulierung aufgestellt werden. Maas-Brunner spricht von der Unverzichtbarkeit der Chemie für die notwendigen Elektrolyseure, die für grünen Wasserstoff als Energiequelle unabdingbar sind. Sie berichtet von Kunststoffen, die tragende Teile in Automobilen leichter und damit energieeffizienter machen – unabhängig von deren Antriebsart. Polyurethanschäume können als Dichtungsmaterial bei der Sanierung von Altbauten wert-volle Energieeinsparungen ermöglichen. Und sie betont den Wert biobasierter Rohstoffe, wenn es darum geht, dem Klimawandel zu begegnen.
Wer Melanie Maas-Brunner zuhört, wenn sie über diese und andere Forschung spricht, der spürt zwei Dinge sofort: Leidenschaft und Wissen. Es ist keine Hochglanzbroschüre, die sie routiniert runterbetet. Als Arbeitsdirektorin will sie all ihre Abteilungen einmal im Jahr besuchen. Dies aber nicht in einem Besprechungsraum, in dem eine wohlfei-ne Präsentation den Status quo an die Wand wirft. Maas-Brunner geht in die Labore und Produktionsstätten, dort-hin, wo die Arbeit geleistet wird. Aufmerksam hört sie zu, stellt Fragen, versteht und trägt es weiter. Das muss sie auch, denn zunehmend ist Melanie Maas-Brunner – notwendigerweise – eine Überzeugungstäterin: Sie muss Men-schen überzeugen, warum Chemie kein Problem, sondern eben eine Lösung ist. Und dann formuliert sie: „Um globale Herausforderungen wie den Klimawandel und die optimale Nutzung begrenzter Ressourcen zu meistern, braucht unsere Gesellschaft mehr denn je Innovationen aus der Chemie.“
Dafür müsse ein Unternehmen wie BASF eben auch innovieren und produzieren können. „Leider gibt es eine Ent-wicklung hin zu Verboten, die uns das Leben erschweren. Für eine chemische Reaktion in einem Kessel braucht es beispielsweise einen Dichtungsring und für diesen spezielle Polymere. Wenn diese aber nicht mehr in Deutschland produziert werden dürfen, dann können wir keine Anlagen betreiben“, sagt sie.
Mehr Freiräume für Innovationen
Die Gleichung sei einfach: „Die Industrie muss funktionieren, damit der Rest des Landes funktionieren kann“, sagt Maas-Brunner. Darüber diskutiert sie mit Politik in Mainz, Berlin wie Brüssel, sie sucht den Schulterschluss aus Industrie, Hochschulen und Politik und ist unter anderem Mitglied des Biotechnologiebeirates des Landes Rhein-land-Pfalz. BASF hat auch einen eigenen Chemovator ins Leben gerufen, in dem Beschäftigte Ideen verfolgen können, die eigentlich nicht zum Kerngeschäft der BASF zählen. Wenn daraus ein Start-up aus dem eigenen Unter-nehmen heraus aufgebaut wird – umso besser. „Ich würde mir wünschen, dass die Politik uns mehr Freiräume gibt, um unsere Innovationen auch effektiv nutzbar zu machen“, sagt sie. Die Rahmenbedingungen sorgten zunehmend dafür, dass Innovationen verloren gehen. „Wenn es so weitergeht, dann wird Europa in Zukunft nicht mehr so stark sein. Das möchte ich nicht erleben. Es kommt mir aber leider so vor, als würden wir auf eine Abbruchkante zulaufen.“
Es brauche einen neuen Plan. Und damit kennt Melanie Maas-Brunner sich seit ihren ersten Monaten im Labor aus. Als sie ihre Doktorarbeit an der RWTH zur „Zur Lewis-Säure-katalysierten kinetischen Racematspaltung von Oxiranen durch Ringöffnung mit Aminen“ abgegeben hatte, wurde sie bei BASF zunächst im Themenfeld Pflan-zenschutz verortet. Sie konnte die Verantwortlichen bei BASF aber von ihrem eigenen Plan überzeugen: Die ho-mogene Katalyse, also die bereits in ihrer Doktorarbeit verwendete Methode, in den Ludwigshafener Laboren auch außerhalb des Pflanzenschutzes einzusetzen, im traditionsreichen Ammonlabor. Verbindungen wie Acetylen und Epoxide wurden zentrale Bausteine ihres Laboralltags. Und dann war da das Thema Aromate. Weichmacher in Kinderspielzeugen waren als gesundheitlich bedenklich eingestuft. Maas-Brunner begann mit katalytischer Hyd-rierung aus Diisononylphthalat, am Ende unendlich langer Stunden im Labor stand Hexamoll® DINCH, eine phtha-latfreien Alternative, die gesundheitlich unbedenklich ist – und ihr Projekt schaffte den Schritt in die Produktion.
Dabei gab es am Ende noch eine enorme Hürde. Denn damals war das Budget für dieses Projekt zu klein, um einen neuen Hochdruckreaktor anzuschaffen. Doch Melanie Maas-Brunners Leidenschaft für ihr Forschungsprojekt sorgte dafür, dass sie auch dieses Problem löste. Sie ging auf die Suche und fand tatsächlich einen ungenutzten Reaktor auf dem Werksgelände, den sie perfekt aufbereiten ließ. So sparte sie die Anschaffungskosten eines neuen und die Produktion konnte starten. Diese läuft übrigens noch immer – in beschriebenem Reaktor.
Text: Thorsten Karbach